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mis à jour le 19/06/2017
mots clés : sujet , baccalauréat, sujet national, juin, 2017, LV1, L, ES, S, LVA
TEXT A: Abschied von Wien
Der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud verlässt mit seiner Frau und seiner Tochter Anna sein Heimatland Österreich.
Am Nachmittag des 4. Juni des Jahres 1938 verließ Professor Dr. Sigmund Freud mit seiner Familie Wien, die Stadt, in der er fast achtzig Jahre seines Lebens verbracht hatte, um mit dem Orient-Express über Paris in sein Londoner Exil zu fahren. Die Formalitäten waren erledigt. Sie hatten die Ausreiseerlaubnis bekommen und ein Großteil des Haushalts, der Möbel und der Antiquitäten wartete in einem Lager auf die Überführung (1) nach England.
Anna hatte das Kommando. Sie hatte alles im Blick und die Dinge in der Hand. Sie hatte die beiden großen Taxis zum Westbahnhof bestellt, sie organisierte die Gepäckträger, kaufte die Fahrkarten. In ihrer Handtasche hatte sie Pässe, Visa und sonstige Dokumente und in einem großen Korb schleppte sie einige Stücke kaltes Selchfleisch und warme Semmelknödel (2) mit. Ganz unten im Korb hatte sie auch eine Flasche Wermuth (3) und kleine Gläschen versteckt. Für die ersten Meter nach der Grenze, hatte sie sich gedacht, ein Schluck (4) auf die Freiheit. Als die kleine Gruppe, begleitet von den neugierigen Blicken und den leisen Kommentaren der Leute durch die Ankunftshalle ging, brach Annas Mutter in Tränen aus. Anna reichte ihr ein Taschentuch, streichelte ihr über den Kopf und bedeutete ihr jedoch unmissverständlich, sich zusammenzureißen (5) und einfach weiterzugehen. Sie hatte Wien nie so geliebt wie ihre Eltern. Die Ausreise war für sie nicht mehr und nicht weniger als die erfolgreiche Flucht vor den Nationalsozialisten.
Professor Dr. Sigmund Freud wollte als Letzter einsteigen, doch seine Tochter schob ihn mit sanfter Gewalt vor sich her, in den Waggon hinein. „Lass mich, ich kann das alleine!" sagte er, und das waren seine letzten Worte auf Wiener Boden.
nach: Robert Seethaler, Der Trafikant, 2015
TEXT B: Ein neues Leben
Luna wurde 1990 in Syrien geboren. Im Alter von 14 Jahren kam sie nach Wien.
Mein Bruder, meine Schwester und ich sitzen im Auto auf dem Weg vom Flughafen. Wir sind in Wien angekommen und es ist kein Urlaub. Es ist für immer. Mir ist kalt. Ich weine. Ich denke nicht an die Möglichkeiten, die mir das Neue bieten wird. Ich will nur weg. Zurück nach Hause, nach Syrien.
«Wie ist es für dich?» fragte man mich damals. Schwer, so wie jeder Anfang einfach schwer ist. Ob ich Österreich und Wien gut fand? Nein, ich hasste das Hiersein, das Anderssein. «Luna, woher kommst du?», «Luna, wo liegt denn Syrien eigentlich, in Afrika?» Ich wusste, sie wollten mich nur kennenlernen. Ich wusste, dass alles, was man nicht kennt, Angst macht. Die Fragen nervten mich trotzdem.
Nach kurzer Zeit fühlte ich mich selbst immer mehr als Wienerin. Ich kannte mich in der Stadt gut aus. Ich hatte fast nur österreichische Freunde. Ich konnte bald akzentfrei Deutsch. Ich sprach immer weniger Arabisch, auch zu Hause. Und doch fühlte ich mich nicht wirklich vollkommen integriert.
Also machte ich alles, um neue Menschen kennenzulernen. Ich belegte viele Tanzkurse. Ich entdeckte Kunst und Malerei. Aber irgendwie hat etwas gefehlt. Mein arabisches Ich konnte sich nicht entfalten.
Schließlich fand ich Freunde, die versuchten, auch meine Kultur zu verstehen. Heute weiß ich, dass ich mich für keine Seite entscheiden muss, „kein Entweder-oder", sondern einfach beides.
Wenn ich heute die Nachrichten über den Krieg in Syrien sehe, verfolgen mich die Bilder der Flüchtlinge, denn es wird mir bewusst, dass ich machtlos bin. Einige haben es bis nach Österreich geschafft.
Letztens hatte ich ein Erlebnis in der U-Bahn: Mir gegenüber sitzen zwei Jungen, die sich auf Syrisch-Arabisch über ihre Reise unterhalten. Ich lächle. Sie lächeln zurück. Sie haben vieles erlebt, das sieht man. Glücklicherweise sind sie nun in Sicherheit. Sie mussten vieles ertragen. Es macht mich traurig, denn sie sind viel zu jung. Fast so alt
wie ich, als ich nach Österreich kam. Aber ich hatte keinen Schmuggler (6), keine Bootsfahrt, keine Bergwanderung.
Buch von Christa Wolf (erschienen 1963) | Vor der Morgenröte : Stefan Zweig im Exil ( nach einem Filmplakat von 2016 ) |
niveau : B2, Terminale L, Terminale S, Terminale ES
type pédagogique : évaluation, sujet d'examen
public visé : enseignant, élève
contexte d'usage : classe
référence aux programmes :
information(s) technique(s) : .
ressource au format .rtf
taille : 3.4 Mo ;
allemand - Rectorat de l'Académie de Nantes