Auswanderung: Mit einem Koffer voll Hoffnung nach Wien
Als Milica Petrovic 1990 von Serbien nach Österreich ging, musste sie einen Koffer auf Kredit kaufen.
Die Geschichte einer Auswanderung, wie sie viele Bewohner Ex-Jugoslawiens erlebt haben.Milica und ihr Mann Milorad waren jung. Sie waren verliebt. Und sie waren arm. In dem kleinen Ort Krnjevo, rund 90 Kilometer südöstlich von Belgrad, hatten sie ein Haus mit zwei Zimmern, in einem schlief Milicas Schwiegermutter, in dem anderen das junge Ehepaar mit dem kleinen Sohn Dalibor. Kein WC, kein fließend Wasser.
Bei einer Hochzeit trafen sie einen entfernten Cousin des Mannes, der ausgewandert war. Österreich, das klang nach Chancen, nach Arbeitsplätzen, nach einem besseren Leben. Im März 1990 wagte das junge Ehepaar den Schritt, der vierjährige Dalibor blieb bei der Oma. Der Beginn einer langen Trennung.
Zur Auswanderung fehlte noch eines: der Koffer. Sie mussten einen Kredit aufnehmen, um ihn zu kaufen. „Wir hatten nicht viele Sachen“, erzählt Milica: „Ein Mantel, ein oder zwei Hosen und ein paar Hemden und Pullover, das war alles.“
Es gab viele Jobs, Milicas Mann fand schnell Arbeit auf einer Baustelle, sie selbst begann als Putzfrau. Stets schickten sie Geld nach Serbien, damit Dalibor einen Farbfernseher bekam und privat Deutschunterricht nehmen konnte.
Mitica erinnert sich minutiös an die ersten Monate in Wien. Ihre erste eigene Wohnung war im Erdgeschoss, gleich nebenan war ein Kindergarten. Im Sommer haben die Kinder draußen gespielt. Milica fand das schön - „Es hat mich so an meinen Sohn erinnert“.
Währenddessen war Krieg in Jugoslawien. Lange vor der Erfindung von Skype waren Gespräche mit der Oma und Dalibor schwierig, das nächste Telefon war bei einem Nachbarn, der zehn Minuten entfernt wohnte. Außerdem durfte der Sohn lange nicht nach Österreich: der Antrag auf das Visum wurde mehrmals abgewiesen. Erst als Milica österreichische Staatsbürgerin wurde, kam Dalibor nach Wien.
Milica erzählt ihre Geschichte in sehr gutem Deutsch, mühelos kommen die Worte über ihre Lippen. „Deutsch ohne Mühe“ hieß auch das Buch, mit dem sie die Sprache gelernt hat. Dalibor hatte schon in Jugoslawien privat Deutschunterricht bekommen, er machte später eine Lehre im Handel.
Im Großen und Ganzen war also alles gutgegangen bei der Auswanderung der Familie Petrovic.
Milica denkt nicht daran zurückzugehen, sie fühlt sich als Wienerin. Nicht viele Auswanderer würden wieder nach Serbien ziehen, sagt sie.
Vielleicht zieht Milica noch einmal in ein größeres Haus um. Sie ist aber noch nicht bereit, die Wohnung zu verlassen, in der sie mit ihrem Mann gelebt hat. Sie will den schwarzen Koffer auch nicht weggeben, mit dem sie nach Wien gekommen war. Dieser Koffer war damals voll mit Hoffnungen - und ist heute voller Erinnerungen.
Nach: Andrea Heigl, DER STANDARD, 20.5.2013
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