Abbildung
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(le document iconographique n'est pas tout à fait le même que celui dans le sujet officiel)
Parodie nach dem Gemälde " Der Wanderer über demNebelmeer" (1818) von Caspar David Friedrich (1774 - 1840)
Text A
Es ist überall. Es wird gepostet, gemailt, getwittert. Von der Party, vom Eiffelturm, von der Oscarverleihung. Das Selfie verbreitet sich schnell und millionenfach. Drei von vier Mädchen im Alter von 18 bis 24 Jahren in Deutschland geben an, regelmäßig Bilder von sich selbst ins Internet zu stellen.
Seit Tausenden von Jahren machen Menschen Bilder von Menschen. Aber das Selfie unterscheidet sich stark von früheren Selbstdarstellungen (1) . Lange Zeit wurden die Porträtierten vor allem in ihrer gesellschaftlichen (2) Funktion dargestellt, nicht in ihrer Individualität.
Der Wunsch, seine eigene Persönlichkeit zu zeigen, wurde erst in der Renaissance populär. Aus dieser Zeit stammen beeindruckende Selbstporträts, wie die bekannten Selbstbildnisse Albrecht Dürers (1471-1528). In diesen Porträts sehen wir, wie der Maler sich selbst präsentiert. Dürer zeigt sich nicht als Maler. Stattdessen (3) trug er schon mal eine modische Mütze und malte sich schön gekleidet. Er war wie gestylt. Somit hat Dürers Selbstbildnis etwas mit modernen Selfies gemeinsam. Auch in diesen Bildern präsentiert man sich, um andere Leute von seinen Qualitäten zu überzeugen.
Sogar im Zeitalter der Fotografie war es schwierig, sich selbst so darzustellen, wie man es wollte.
Erst später brachte das Digitale eine größere Freiheit in die Fotografie. Heute kann man den Blick auf sich selbst unendlich variieren. Das Bild kann man sofort sehen, und man kann es sofort löschen (4) und ein neues machen. Es ist nicht für die Zukunft gedacht, sondern für den jetzigen Moment. Wer ein Selfie postet, ist gleichzeitig da und überall. Wir sind heute alle Künstler, die immer neue Visionen von uns in die Welt hinaussenden.
nach Zeitonline, Juli 2014, Tillmann Prüfer
1 - die Selbstdarstellung : la représentation de soi-même
2 - gesellschaftlich : social
3 - stattdessen : au lieu de cela
4 - löschen : effacer
Text B: Der Fotograf F.C. GundlachDer deutsche Fotograf F. C. Gundlach wird 90. Er gehört zu den bekanntesten Modefotografen. Er erzählt, wie er zur Fotografie gekommen ist.Meine Jugend war mit 16 zu Ende, weil meine Schulkameraden und ich an die Front gehen mussten. Man hatte keine Chance, Zukunftspläne zu machen. Man konnte nur davon träumen.
In Gefangenschaft (5) dachte ich auch oft an meinen Onkel. Das gab mir Mut. Mein Onkel hatte eine Dunkelkammer (6), und als ich zehn Jahre alt war, hat er mich zum ersten Mal dorthin mitgenommen. Ich fand das natürlich toll, dass man nach einem Augenblick auf dem weißen Blatt Papier plötzlich ein Bild sehen konnte. Das war wie ein Wunder. Mit zehn Jahren bekam ich dann auch meinen ersten Fotoapparat. Er kostete damals fünf Mark und hatte einen Selbstauslöser (7). Ehrlich gesagt hat mich der Selbstauslöser mehr interessiert als der Fotoapparat, weil man sich jetzt selbst fotografieren konnte.
Mit dem Fotoapparat machte ich auch mein erstes Foto. Als ich es mir Jahre später anschaute, sah ich, dass es schon ein total inszeniertes Bild war. Mein Bruder stand oben auf einer Leiter (8) und ich habe mich unter ihn gesetzt. Man kann an diesem ersten Foto sehen, wie viel Freude mir schon das Fotografieren machte. Der Wunsch zu fotografieren war bei mir immer präsent, und dieser Wunsch hielt mich auch lebendig. Manchmal sogar am Leben.
Heute sage ich jungen Künstlern, dass drei Dinge wichtig sind, um ein erfolgreicher Fotograf zu werden: Talent, Disziplin und das dritte, Fortune. Fortune ist etwas anderes als Glück. Fortune heißt nämlich, immer neue Erfahrungen zu sammeln und für alles offen zu sein. Das hat immer in meinem Leben eine große Rolle gespielt, vielleicht sogar die größte.
nach: Zeitmagazin, Nr. 34, 11. August 2016
5- die Gefangenschaft : la captivité
6 - die Dunkelkammer: la chambre noire
7- der Selbstauslöser : le déclencheur automatique
8 - die Leiter: l'échelle